Neuigkeiten aus der Gemeinschaft - Ein systemischer Ansatz gegen den Krieg

March 4, 2022

Neuigkeiten aus der Gemeinschaft - Ein systemischer Ansatz gegen den   Krieg

By Laura Sullivan

Letzten Montag gab es in den belgischen Apotheken einen Ansturm auf Jodtabletten. Als ich am Dienstag aufwachte, hörte ich, das sei in ganz Europa der Fall. [1] Es wird allgemein angenommen, dass Jodtabletten im Falle eines nuklearen Notfalls vor Schilddrüsenkrebs schützen. Wenn es jemals ein Zeichen dafür gab, dass die Menschen an Krieg denken, dann war es dieses.

Als ich das letzte Mal von der Bedrohung durch einen Atomkrieg hörte, war ich ein kleines Mädchen, das heimlich Gespräche zwischen Erwachsenen belauschte. Und obwohl ich eine Schwäche für Nostalgie habe, hat diese Erinnerung einen bitteren Beigeschmack. Warum sind wir wieder an diesem Punkt angelangt? Warum kann Putin das Leben so vieler Menschen zerstören und uns in die Angst der 80er-Jahre, des Kalten Krieges zurückversetzen?

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Bitterkeit oder Angst. Die Invasion der Ukraine sollte uns in unserer Entschlossenheit stärken, Angst in Mut zu verwandeln und uns zu wehren. Es gibt Möglichkeiten, wie wir das jetzt und auf längere Sicht tun können.

Putins Granaten und Panzer zielen östlich von uns auf Kinder. In den kommenden Monaten werden bis zu 5 Millionen Menschen gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. [2] In der vergangenen Woche haben wir die Chance genutzt, ihnen durch die so genannte Richtlinie über den vorübergehenden Schutz [3] zu helfen, schnell Zugang zu Visa in der EU zu erhalten. Innerhalb eines Tages sind 70.000 von uns aktiv geworden. Partnerorganisationen unterstützten uns. Gegen 17 Uhr am nächsten Tag, stimmten die EU-Länder der Maßnahme zu. Diese Richtlinie wurde noch nie zuvor in Anspruch genommen und wird als revolutionär bezeichnet.

Aber: Sie gilt nicht für alle Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Die EU hat Zeitarbeiter*innen, ausländische Studierende und Menschen, die Asyl suchen oder keinen dauerhaften Status in der Ukraine haben, ausgeschlossen. Und während der angebotene Schutz auf dem Papier gewährt ist, muss er in der Praxis noch umgesetzt werden. Hier müssen wir dranbleiben!

Außerdem müssen wir auch die langfristigen, grundlegenden Ursachen dieser Krise bedenken. Die Tatsache, dass immer wieder Krisen auf uns zukommen - von Finanzkrisen über Pandemien bis hin zu Kriegen - bedeutet, dass wir tiefer graben müssen und nicht nur auf Symptome reagieren dürfen. Was ist die Wurzel dieser Krise?

Im vergangenen Jahrzehnt hat Putin mit den Milliarden, die wir ihm für Gas und Öl zahlten, eine riesige Armee aufgebaut. Das gleiche Gas und Öl, dass wir immer noch verbrauchen, verursacht Emissionen, die unseren Planeten zerstören. Währenddessen bindet unsere Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen uns am Verhandlungstisch die Hände. Sie veranlasst einige Staats- und Regierungschef*innen, die Sanktionen abzuschwächen, weil sie fürchten, dass Putin den Hahn zudreht und uns frieren lässt. Es hängt alles zusammen.

All dem liegt eine wirtschaftliche Logik zugrunde, die auf Gewinnstreben ohne Rücksicht auf das Wohlergehen der Menschen und des Planeten beruht. Diese Logik hat so ziemlich jede politische Entscheidung in Europa beherrscht, seit sie in den 1980er-Jahren die Oberhand gewann.

All das entspringt einer patriarchale Form der Führung und einer Form der Demokratie, die kaum auf die Menschen hört und die Macht in den Händen einiger weniger konzentriert.

Eine weitere Ursache ist der Rassismus, der weißen Menschen und ihren Rechten Vorrang vor anderen einräumt. Europa sollte bezüglich seiner Doppelmoral - hinsichtlich einer Solidarität mit Ukrainer*innen, die sich nicht auf andere Menschen erstreckt - zur Rede gestellt werden. Alle, unabhängig von Pass, Hautfarbe oder Migrationsstatus, sind der gleichen Tyrannei ausgesetzt - seien es Panzer, Überschwemmungen oder dürre Äcker. In unseren Herzen wissen wir das und darauf sollten wir uns besinnen.

Wenn wir die ständigen Krisen beenden wollen, müssen wir sie an ihren Wurzeln packen und nachhaltig handeln. Aus diesem Grund gibt es WeMove Europe.

Es gibt jetzt eine echte Chance, das Blatt in Europa zu wenden. Jede Schock-Doktrin birgt auch eine Chance zum Wandel. Wir werden diesen Moment nutzen, um die Welle der Solidarität auf alle Menschen auszuweiten. Was wäre, wenn wir nicht nur Asylsuchende aus der Ukraine, sondern alle Asylsuchenden aufnehmen würden? Was wäre, wenn wir uns organisieren würden, um all denen zu helfen, die vor Krieg, Klimawandel und Armut fliehen? Was wäre, wenn wir erkennen würden, dass auch wir, wenn wir so weiter machen, möglicherweise schon bald vor den Folgen der Klimakrise flüchten? All dies liegt in unserer Macht.

Was, wenn wir nicht mehr von Russland und anderen despotischen Regimen abhängig wären, wenn es um unsere Energie geht? Was wäre, wenn wir der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ein Ende setzten? Wenn wir auf die Stimmen der Wissenschaft hörten, wonach wir keine andere Wahl haben, als von Gas und Öl wegzukommen? Und dass es Alternativen gibt. [4]

Was wäre, wenn wir anerkennen würden, dass die Ursachen der Krisen alle gleich sind - aber dass sie von Menschen gemacht und ebenso auch bekämpft werden können? Was wäre, wenn wir den Menschen und dem Planeten Vorrang geben würden?

Ich möchte in einem Europa leben, in dem der 11-Jährige, der unter meinem Dach wohnt, sich keine Gedanken über Panzer, Jodtabletten oder die Klimakrise machen muss. Konzentrieren wir uns darauf, dieses Ziel zu erreichen.

Referenzen:
[1] https://www.euronews.com/next/2022/03/02/ukraine-war-european-pharmacies-face-jump-in-demand-for-iodine-pills-after-putin-s-nuclear
[2] http://data2.unhcr.org/en/situations/ukraine
[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52022PC0091
[4] https://www.euractiv.com/section/energy/opinion/how-europe-can-rapidly-reduce-its-gas-dependency/

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